Rede anlässlich des Festaktes zum
Schuljubiläum
des
Geschwister-Scholl-Gymnasiums am 26.11.1999
feiert
jemand seinen sechzigsten Geburtstag, so wird ihm heute meistens
bescheinigt,
dass er noch jung und rüstig ist. Auch unsere Schule ist mit ihren
sechzig Jahren noch jung. Wir können sogar Lehrer und Schüler
aus der Gründungsphase begrüßen, worüber wir uns ganz
besonders freuen. Leider konnten nicht alle Lehrkräfte aus dieser
frühen Phase aus gesundheitlichen Gründen heute abend zu uns
kommen.
Seit fünf Jahren sind erfreulicherweise zahlreiche Schülerinnen und Schüler des Geschwister-Scholl-Gymnasiums damit befasst, die Geschichte ihrer Schule aufzuarbeiten. Wir mussten bei den Recherchen ganz von vorne beginnen, denn außer Zeitungsartikeln lagen keine Veröffentlichungen vor.
Erste Quellen entdeckten wir im Schularchiv. Die früheren Direktoren Dr. Andreas Mailänder, Joseph Holzer und Dr. Hans Rech hatten Manuskripte über ihre Tätigkeit hinterlassen. Von dem ehemaligen Lehrer Max Schreiner konnte eine unveröffentlichte Darstellung über den schulischen Neubeginn nach dem Krieg aufgefunden werden. Eine weitere Grundlage bot die Arbeit des Unterprimaners Hermann-Josef Brachmann vom damaligen Aufbaugymnasium Lebach aus dem Jahre 1963 über die Geschichte des Realgymnasiums Lebach. Archive in Saarbrücken, Trier, Wiesbaden, Berlin und anderen Städten brachten weiteres Material ans Tageslicht. Außerdem haben wir zahlreiche Zeitzeugen aus verschiedenen Phasen der Schulgeschichte befragt, die uns bei der Spurensuche in hohem Maße behilflich waren.
Sehr beeindruckend war für unsere Jugendlichen die persönliche Begegnung mit ehemaligen Schülerinnen und Schülern der Staatlichen Oberschule für das freigemachte Gebiet, Lebach-Saar, denn so lautete die erste offizielle Bezeichnung des heutigen Geschwister-Scholl-Gymnasiums im Gründungsjahr 1939.
Als am 27. November 1939 für 392 Schülerinnen und Schüler der erste Unterricht in Lebach begann, befand sich das Deutsche Reich bereits seit fast drei Monaten im Kriegszustand. Was Flucht und Vertreibung bedeuten, das mussten quasi als "Vorspann" etwa 300 000 Saarländer schon zu Beginn des Zweiten Weltkrieges erleiden, wenn auch nur vorübergehend und unter halbwegs geordneten Verhältnissen. Die Menschen wurden aus ihren Heimatorten evakuiert, weil kriegerische Kampfhandlungen an der Westgrenze befürchtet wurden. Infolgedessen wurden auch dreizehn Oberschulen im Saartal, nämlich in Saarbrücken, Völklingen, Saarlouis, Dillingen und Merzig geschlossen.
Karte der weiterführenden Schulen und der evakuierten Zone 1939 - 1940
Um es den Schülern, die diese Schulen
besucht hatten, aber im nicht
evakuierten Gebiet wohnten, zu ermöglichen, weiterhin eine höhere
Schule zu besuchen, wurde in Lebach als zentral gelegenem Ort eine
Auffangschule
gegründet.
Gerade diesen ersten Schülern der Oberschule in Lebach galt das
besondere Interesse der Arbeitsgemeinschaft "Schulchronik". Die
Schülerinnen
und Schüler konnten aus erster Hand erfahren, was es heißt,
unter diktatorischen Strukturen leben zu müssen, welche
Unterrichtsinhalte
vermittelt wurden und wie die Kriegsbedingungen auch das Leben der
Jugendlichen
nachteilig beeinflusst hatten. Für die Schüler war es aufschlussreich
zu erfahren, dass an der Oberschule Lehrpersonen tätig waren, die
die NS-Ideologie verinnerlicht hatten und an ihre Schüler
uneingeschränkt
weitergaben. Sie erfuhren aber auch, dass es Lehrer gab, die dem Regime
reserviert bis ablehnend gegenüber standen.
schriftliche Genehmigung zur Gründung der Auffangschule in Lebach
Dass das schulische Leben ganz außergewöhnlich verlief, kann man unter anderem daraus ersehen, dass bereits am 14. März 1940, also schon drei Monate nach Schulgründung, eine Abiturprüfung durchgeführt wurde.
Auch wenn wir uns heute abend versammelt haben, um zu feiern, soll dennoch nicht unerwähnt bleiben, dass drei von sechs Lebacher Abiturienten auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges ihr Leben verloren haben. Ihr Schicksal geht uns auch heute noch nahe und wir freuen uns, dass ihre Angehörigen uns bei den Recherchen geholfen haben und heute abend unter uns weilen.
Schulgeschichte ist stets Teil der allgemeinen Geschichte, der Alltags- und Sozialgeschichte. Natürlich trifft dies auch auf die historischen Rahmenbedingungen der Lebacher Schulgeschichte zu.
Mit dem Einmarsch amerikanischer Truppen
am 18. März 1945 war für
die Bevölkerung Lebachs der Zweite Weltkrieg beendet. Ein geordneter
Schulbetrieb war schon seit September 1944 unter anderem deshalb nicht
mehr möglich, weil das Volksschulgebäude, in dem in Ermangelung
eines eigenen Schulgebäudes die Oberschüler unterrichtet wurden,
mit Soldaten der Wehrmacht belegt war.
Die französische Besatzungsmacht, die die Amerikaner abgelöst
hatte, ordnete die Wiederaufnahme des Unterrichts an allen
saarländischen
Schulen für den 1. Oktober 1945 an.
Von Herbst 1940 bis Ostern 1960 gab es an unserer Schule keine gymnasiale Oberstufe. Unser Gymnasium arbeitete in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren besonders eng mit der im Jahre 1956 gegründeten Aufbauschule, dem heutigen Johannes-Kepler-Gymnasium zusammen. Die ersten Abiturienten in Lebach seit 1940 legten 1961 die Reifeprüfung am Aufbaugymnasium ab. Zu diesen Abiturienten zählte auch eine Klasse des Realgymnasiums, die nach der Mittleren Reife als eigene Klasse vom Aufbaugymnasium übernommen worden war. Zum ersten Mal legten Jungen am Realgymnasium Lebach im Jahre 1963 die Abiturprüfung ab. Unsere Schülerinnen durften allerdings erst ab Ostern 1964 - nach der Mittleren Reife - in Lebach bleiben, um die Abiturprüfung abzulegen. Eine eigene Mädchenklasse musste gebildet werden.
Solche Einschränkungen wirken auf den heutigen Betrachter sonderbar und befremdend. Sie werden wohl erahnen, dass unsere damaligen Schülerinnen nicht ohne Widerstände im Bündnis mit Eltern, Lehrern und Lebacher Politikern es schließlich erkämpft hatten, dass sie gleichberechtigt mit den Jungen den höheren Bildungsabschluss in Lebach erwerben können. Diesbezüglich kann ich aus eigener Erfahrung sprechen, da ich dem ersten Lebacher Abiturjahrgang angehöre, bei dem auch Schülerinnen zugelassen worden waren.
Bemerkenswert aus der Nachkriegszeit ist zweifelsohne der Umzug der Schule im Jahre 1948 vom Gebäude der ehemaligen Volksschule, in dem auch die Staatliche Oberschule für Jungen in Lebach und das Staatliche Realgymnasium Lebach untergebracht waren, in den Block IV der ehemaligen Infanteriekaserne in der Dillinger Straße, die auch als Reserve- und Feldlazarett gedient hatte und Unterkunft für "Displaced Persons" gewesen war.
Was vielleicht weniger bekannt ist: Im Laufe ihrer sechzigjährigen Geschichte war unsere Schule mehrfach von Auflösungsabsichten bedroht. Schon 1940 wollten die damaligen Machthaber nach der Rückkehr der Evakuierten den Lebacher Standort einer Höheren Schule beseitigen. Es ist der Initiative der damals kommunalpolitisch Verantwortlichen aus Lebach und Umgebung sowie dem Schulleiter zu verdanken, dass bei uns ein Gymnasium erhalten blieb. 1947 wollte Kultusminister Emil Straus das Gymnasium auflösen, und zwar aus finanziellen Gründen, um die Mittel für den Aufbau der teilweise stark zerstörten traditionsreichen Schulen im Saarland zu verwenden.
Die Schule war bis Mitte der fünfziger Jahre von Auflösungsabsichten bedroht. Es ist der vereinten Initiative von Kommunalpolitikern, Lehrern und Elternvertretern zu verdanken, dass Lebach ununterbrochen Standort eines Gymnasiums blieb. Deshalb sei auch in dieser festlichen Stunde den zahlreichen Fürsprechern und Vorkämpfern herzlich gedankt.
Betrachtet man statistische Erhebungen und ministerielle Eingaben, so fällt auf, dass wir in der Vergangenheit unter permanenter Raumnot zu leiden hatten. In den sechziger Jahren, als die Schule zur sogenannten "Vollanstalt" ausgebaut wurde, stiegen die Schülerzahlen immer mehr an. Besuchten im Schuljahr 1960/61 noch 418 Schüler das Realgymnasium Lebach, so hat sich die Gesamtschülerzahl in nur fünf Jahren auf 809 fast verdoppelt. Die Errichtung eines neuen Schulgebäudes war unumgänglich. Zu Beginn des Schuljahres 1970/71 war unser jetziges Schulgebäude bezugsfertig. Die Schülerzahl betrug 1402 und hatte sich gegenüber 1960 mehr als verdreifacht.
![]() Block IV der ehemaligen Infanteriekaserne (der sog. Altbau) |
![]() Im Jahre 1970 entsteht der „Neubau“ (Foto: Michael Eckert) |
Im Jahre 1992 übernahm der Landkreis Saarlouis die Sachträgerschaft unserer Schule und diese wurde umbenannt. Für das Gymnasium, das in einer sehr schweren Zeit entstanden war, wurden als Namensgeber die Geschwister Sophie und Hans Scholl gewählt, junge Leute, die sich im Widerstand gegen das Naziregime befanden und bereit waren, das Kostbarste zu opfern, ihr eigenes Leben. Das Vermächtnis der Mitglieder der "Weißen Rose" möge auch in Zukunft unseren Lehrern und Schülern von hoher Bedeutung bleiben! (Das Foto unten zeigt die Gedenktafel im Atrium der Schule.)
Von
unseren Gästen, die sich in der einen oder anderen Weise mit
unserer Schule verbunden fühlen, wird jeder seine eigene, ihm gemäße
Schwerpunktsetzung vornehmen. Ich habe aus dem Zeitraum von sechzig
Jahren,
der, wie Sie vernehmen konnten, außerordentlich bewegt war, aus
Zeitgründen
lediglich eine kleine Auswahl treffen können. Wenn Sie sich
ausführlicher
mit unserer Schule im Wechsel der Zeiten befassen möchten, dann sei
Ihnen unsere Festschrift empfohlen. Sie können unter anderem Artikel
finden, die über Aktivitäten der Gegenwart informieren, aber
auch Erinnerungen ehemaliger Schüler und Schülerinnen sowie eine
Übersicht über Lehrer und Abiturienten.
Unseren derzeitigen Jugendlichen, die in einer Wohlstandsgesellschaft aufwachsen, bleibt selbst nach der Begegnung mit unseren ehemaligen Schülerinnen und Schülern wohl kaum nachvollziehbar, wie ungeheuer groß die Not der direkten Nachkriegszeit war. Die nachfolgenden fünfziger und sechziger Jahre bleiben ihnen vielleicht ebenfalls in vielerlei Hinsicht fremd.
Wir Lehrerinnen und Lehrer bemühen uns darum, dass die uns anvertrauten Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt werden, nach Ende ihrer Schulzeit ihr Leben verantwortungsbewusst zu gestalten und zu meistern.
Der heutige Tag bietet auch Gelegenheit dazu, Menschen zu begegnen, die in der ferneren oder näheren Vergangenheit zu unserer Gemeinschaft zählten. Wir freuen uns über ihre Verbundenheit mit der gegenwärtigen Schulgemeinde. Auch der Festredner des heutigen Abends, Ministerpräsident Peter Müller, gehörte einst zu unseren Schülern. Wir freuen uns, dass er zu uns spricht.
Im Gründungsjahr der Schule 1939 befand
sich Deutschland im Krieg,
auch mit unseren direkten französischen Nachbarn. Heute pflegt das
Geschwister-Scholl-Gymnasium eine Partnerschaft mit dem Lycée et
Collège St. Augustin in Bitche. Wir möchten dadurch das Verständnis
füreinander fördern, was eine Voraussetzung für eine Zukunft
in Frieden ist. Wir handeln somit auch im Sinne der Geschwister Scholl,
denn im 5. Flugblatt steht:
"Nur in großzügiger Zusammenarbeit der europäischen
Völker kann der Boden geschaffen werden, auf welchem ein neuer Aufbau
möglich sein wird. (...) Jedes Volk, jedes einzelne hat ein Recht
auf die Güter der Welt!"
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Hildegard Bayer Weitere Informationen zur Weißen Rose und den Geschwistern Scholl